Mehr als eine Comic-Figur: Wie achtsame und verkörperte Selbstreflexion die Entwicklung in Teams und Gruppen fördert

Die Anforderungen an Teams in Sachen Kooperations- und Konfliktfähigkeit steigen laufend. Insbesondere auch mit zunehmender Digitalisierung, Verflachung von Hierarchien und mit steigendem Grad an Selbstorganisation.  
 
Was aber erlaubt Teams das Durchbrechen alter Muster und die Entfaltung des gemeinsamen Potenzials?  
 
Eine entscheidende Fertigkeit liegt darin, einen bezogenen und aufeinander eingestimmten Gruppenraum zu schaffen. Erst dieser Rahmen erlaubt sozialen und damit komplexen Systemen jenen intensiven Austausch, bei gleichzeitiger Selbstbeobachtung und -reflexion, der selbstorganisierten Systemwandel fördert.  

Dank Selbstreflexion zu dreidimensionalen Menschen 

Voraussetzung für einen bezogenen Austausch ist meines Erachtens die Fähigkeit und Bereitschaft der einzelnen Team- oder Gruppenmitglieder, sich selbst zu reflektieren, und bei der Arbeit mehr als Comic-Figuren zu sein. Soll heissen, sich selbst als dreidimensionale Menschen, die Verstand, Emotion und Wille gleichermassen verkörpern, wahrzunehmen und zu spüren, und sich auch so zu zeigen.  

Die «Theory U» (Ein Change-Management Ansatz) veranschaulicht sehr schön: Damit ein Team oder eine Organisation zu neuen Selbst-Erkenntnissen zum eigenen Potenzial und so zu wirklich innovativen Veränderungen finden kann, braucht es unter den Beteiligten grosse Offenheit auf Ebene des Verstandes, des Herzens und des Willens: 

  • um einander mit frischen Augen und offenen Ohren sehen und zuhören zu können, und eingeschliffene Muster zu erkennen, zu reflektieren und loszulassen.  
  • um bei sich selbst und im Gruppenfeld zu spüren, wo wirklich Energie steckt.  
  • um letztlich als Gruppe zu kohärenter Aktion zu finden, die durch eine klare gemeinsame Intention geleitet und in bewältigbaren Schritten umgesetzt, und nicht durch Intellektualisierung blockiert wird.   
     

Im Tauchgang durch den Konflikt  
Gerade in Konflikten und Spannungen brauchen wir uns gegenseitig dringend als «dreidimensionale» Kollegen und Kolleginnen. Die Mediation, etwa nach Ballreich und Glasl, arbeitet gleichfalls mit einem Vertiefungsprozess, der auf die Erforschung und Klärung des Konfliktes auf Ebene von Verstand, Emotion und Motivation (Bedürfnisse und Interessen) abzielt.  
 
Dabei machen Mediatorinnen und Mediatoren sich Erkenntnisse über den Zusammenhang dieser unterschiedlichen Ebenen zu Nutze: So wissen wir etwa, dass das bewusste Wahrnehmen des Körpers Zugang zu ungefühlten Emotionen verschaffen kann. Und wenn es gelingt, Emotionen zu fühlen, können wir sie zumeist besser durchziehen lassen und werden wieder offener für andere Perspektiven. Zudem wissen wir, dass sich hinter Emotionen oft unerfüllte oder unartikulierte Bedürfnisse und Interessen verbergen. Deren Artikulierung erleichtert in der Regel den Perspektivwechsel und gegenseitiges Verständnis, und dient uns damit als Schlüssel zur Identifikation allseits akzeptabler und tragfähiger Lösungen.  

Mediatorinnen und Prozessbegleiter unterstützen ihre Klienten und Klientinnen – Individuen wie Gruppen – dadurch letztlich auch dabei, zu grösserer Selbstklarheit auf diesen unterschiedlichen Ebenen zu finden, und damit auch zu erhöhter innerer Kohärenz. Fördert ein Team also die Reflexionsfähigkeit seiner Mitglieder und der Gesamtgruppe entlang dieser drei Dimensionen, stärkt es damit dessen Konfliktfähigkeit massgeblich.   

Um die Kohärenz und Einstimmung in einer Gruppe auf einem sehr hohen Niveau zu fördern, können Prozessbegleiter sie dabei unterstützen, das Unausgesprochene, das im Schatten kollektiver Traumata und blinder Flecken schwelende und meist schmerzende und blockierende, wahrnehmbar und besprechbar zu machen. Ein naheliegendes Beispiel sind etwa Diversitäts-Themen und die damit verbundenen tiefsitzenden aber selten ausgesprochenen Verletzungen und Vorbehalte auf allen Seiten, die die Entwicklung einer Gruppe blockieren können. Unbestritten: Für den Arbeitskontext ist dies eine überaus ambitionierte Messlatte und erfordert vom Team und vor allem auf Seiten der Prozessbegleitung hohe Kompetenz.  

Ein Tool zur Synchronisierung  

Man kann mit kleinen Schritten beginnen. Ein simples aber effizientes Tool nach Thomas Hübl ist der sogenannte «3-Sync», zur inneren Klärung und Synchronisierung von Emotion, Verstand und Körper.   

Dabei steht die beobachtende und achtsame Wahrnehmung der eigenen inneren Vorgänge auf diesen drei unterschiedlichen Ebenen im Vordergrund. Wie manche dies aus der Achtsamkeitsmeditation kennen, sollte dies aus einer beobachtenden und wertfreien inneren Haltung geschehen: 

  • Was für Gedanken beschäftigen mich zurzeit? Was sagt mir mein Verstand gerade? 
  • Was für Gefühle nehme ich wahr – oder fällt es mir womöglich im Gegenteil gerade schwer, wahrzunehmen?  
  • Wie spüre ich meinen Körper: Was fühlt sich lebendig oder flüssig an, was blockiert?  
     

Dieses Tool muss im Arbeitskontext keineswegs nur in Veränderungs- oder Konfliktbearbeitungsprozessen zum Einsatz kommen, sondern kann beispielsweise auch als Check-in für Teamsitzungen Anwendung finden. Die simple Reflexion ist auch bereits enorm hilfreich zur Selbstklärung, sofern die Arbeitskultur einen Austausch auf dieser Ebene (noch?) nicht erlaubt. 
 
Für Profis, die Menschen in Prozessen begleiten sollen, funktioniert übrigens dasselbe Schema. Gary Friedman hat hierfür den V-Prozess beschrieben, der Mediatorinnen und Mediatoren anleitet, durch die Arbeit am Konflikt ausgelöste eigene Trigger-Reaktionen vertieft zu ergründen, um die dabei gewonnenen Erkenntnisse anschliessend den Klientinnen und Klienten als Spiegel zum Konfliktsystem zur Verfügung zu stellen.  

In einem Satz zusammengefasst: Wenn Mitarbeitende und Teams lernen, sich auf Ebene von Verstand, Emotion und Motivation verkörpert zu reflektieren, können sie die Kohärenz und Bezogenheit ihres Gruppenraumes fördern und damit die Voraussetzungen für eine gemeinsame Entwicklung schaffen.  
 
Quellen und weiterführende Literatur:  

Ballreich, R. / Glasl, F. (2007): Mediation in Bewegung: Ein Lehr- und Übungsbuch mit Filmbeispielen auf DVD, Stuttgard, Deutschland: Concorda Verlag. 
 
Breidenbach, J. / Rollow, B. (2022). Die entfaltete Organisation: Mit Inner Work die Zukunft gestalten. München, Deutschland: Vahlen Verlag.  
 
Friedman, G. J. (2014). Inside out: How conflict professionals can use self-reflection to help their clients. American Bar Association. 

Hübl, T. (2020). Healing Collective Trauma. Sounds True. 

Scharmer, C. O. (2009): Theorie U. Von der Zukunft her führen. Heidelberg: Carl-Auer- Systeme. 
 
Bildquelle: Pixabay  

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